Geldpolitische Lagebeurteilung vom 17. September 2009 Schweizerische Nationalbank hält an ihrer expansiven Geldpolitik fest

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Die Schweizerische Nationalbank hält an ihrer im März eingeleiteten expansiven Geldpolitik fest. Auch wenn in letzter Zeit vermehrt ermutigende Konjunktursignale festzustellen waren, bleibt die Unsicherheit über die künftige Entwicklung gross. Unter diesen Umständen lässt die Nationalbank Vorsicht walten und führt ihren gegenwärtigen geldpolitischen Kurs unverändert fort.

Sie belässt demnach das Zielband für den Dreimonats-Libor bei 0%–0,75%. Sie verfolgt dabei weiterhin das Ziel, den Libor im unteren Bereich des Bandes um 0,25% zu halten. Sie wird die Wirtschaft weiterhin grosszügig mit Liquidität versorgen. Sie wird wenn nötig auch mit ihren Käufen von Schweizerfranken-Obligationen fortfahren, um die Risikoprämien auf langfristigen Anleihen von privaten Schuldnern zu reduzieren. Zudem wird sie einer Aufwertung des Schweizer Frankens gegenüber dem Euro weiterhin entschieden entgegenwirken.

Die weltweite Konjunkturlage hat sich in den letzten Monaten verbessert, und der Rückgang der Schweizer Wirtschaft fiel deutlich weniger markant aus als im zweiten Quartal erwartet. Deshalb passt die Nationalbank ihre Wachstumsprognose für das reale Bruttoinlandprodukt für das laufende Jahr an. Sie geht nun davon aus, dass das reale BIP um 1,5% bis 2% sinken wird. Die Wirtschaft wird im Verlauf der nächsten Monate allmählich wieder wachsen.

Was die Inflation anbelangt, bleibt die Prognose für 2009 praktisch unverändert. Für die folgenden Jahre allerdings liegt sie auf einem leicht höheren Niveau. Dieser Unterschied ist insbesondere auf die schweizerische und weltweite Konjunkturentwicklung zurückzuführen, die weniger ungünstig ausgefallen ist als erwartet. Die durchschnittliche Jahresteuerung wird für 2009 negativ ausfallen und bei etwa –0,5% liegen. Für 2010 und 2011 rechnet die Nationalbank mit Preissteigerungen von 0,6% bzw. 0,9%. Die Inflationsprognose ist mit grossen Unsicherheiten behaftet. Die erwartete weltwirtschaftliche Erholung könnte ausbleiben. Ausserdem kann eine erneute Verschlechterung der Lage im Finanzsektor nicht ganz ausgeschlossen werden, auch wenn sich dieser Sektor derzeit spürbar erholt. Demnach besteht weiterhin ein Deflationsrisiko.

Eine unverzügliche Straffung der geldpolitischen Zügel ist deshalb nicht nötig. Die Inflationsprognose zeigt aber auch, dass die expansive Geldpolitik nicht endlos weitergeführt werden kann, ohne die mittel- und langfristige Preisstabilität zu gefährden. Angesichts dieser Unsicherheiten bleibt die Nationalbank vorsichtig und hält an der im letzten März eingeschlagenen expansiven Geldpolitik fest. Indem sie weiterhin die Inflationsprognose als Richtschnur verwendet, stellt sie sicher, dass die zurzeit angewandten ausserordentlichen Massnahmen die mittel- und langfristige Preisstabilität nicht gefährden.

Internationale Wirtschaftsaussichten
Die wirtschaftlichen Aussichten der Schweiz werden stark durch das internationale Umfeld beeinflusst. Aus diesem Grund stützt die Nationalbank ihre Inflationsprognose auf die wahrscheinlichsten Annahmen zur künftigen Entwicklung der Weltwirtschaft ab. Sie geht nun davon aus, dass sich das Wachstum etwas rascher erholen wird als noch im Juni erwartet. So rechnet sie damit, dass die Wachstumsraten sowohl in den USA als auch in Europa vor Ende Jahr wieder positiv werden. Nach wie vor bestehen für die internationale Konjunkturentwicklung aber bedeutende Risiken.

Wirtschaftsaussichten für die Schweiz
Die Schweiz befindet sich weiterhin in einer schwierigen konjunkturellen Lage. Das BIP ist im zweiten Quartal weiter zurückgegangen. Der Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten ist weiter gesunken, insbesondere in der verarbeitenden Industrie. Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit nehmen stark zu und der Index für die Konsumentenstimmung bewegt sich auf tiefem Niveau.
In den nächsten Monaten dürften allerdings die Warenexporte von der Erholung der Weltwirtschaft profitieren. Der Aufschwung wird nicht alle Exportbereiche gleichermassen erfassen. So dürfte namentlich die Nachfrage nach Ausrüstungs- und dauerhaften Konsumgütern moderat bleiben. Bei der inländischen Nachfrage dürften sowohl der schwache private Konsum als auch die geringen Investitionsausgaben das BIP-Wachstum dämpfen.
Für 2009 insgesamt rechnet die Nationalbank jetzt mit einem weniger ausgeprägten Rückgang des BIP von –1,5% bis –2% (Juni-Prognose: –2,5% bis –3%). Die Prognose wurde revidiert, weil sich die Weltwirtschaft rascher als erwartet erholt und weil der Rückgang des BIP in der Schweiz bereits im zweiten Quartal weniger stark ausgefallen ist als angenommen. Die Nationalbank bleibt jedoch der Meinung, dass der Weg bis zur vollen Auslastung der Produktionskapazitäten insgesamt länger und unsicherer sein wird, als dies üblicherweise gegen Ende einer Rezession der Fall ist.

Entwicklung der monetären und finanziellen Rahmenbedingungen
Die monetären Rahmenbedingungen bleiben stark gelockert. Der Dreimonats-Libor ist gesunken, ganz im Einklang mit dem Ziel der Nationalbank, diesen Satz in den unteren Bereich des Zielbands zu führen. Auch die Renditen der Bundesobligationen haben nachgegeben. Für zehnjährige Anleihen liegt die Rendite bei etwa 2,2%. Am Kapitalmarkt sind die Risikoprämien zurückgegangen.
Der handelsgewichtete Aussenwert des Frankens ist stabil, ebenso der Kurs des Frankens gegenüber dem Euro. Die im letzten März ergriffenen geldpolitischen Massnahmen haben sich somit als wirksam erwiesen. Solange die weltweiten finanziellen Unsicherheiten andauern, bleibt die Lage jedoch schwierig. Die Nationalbank wird deshalb einer Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro weiterhin entschieden entgegenwirken. Die Entwicklung der Kredite und der Geldmengen widerspiegelt die massive Lockerung der geldpolitischen Zügel. Die Hypothekarkredite, die 80% des gesamten Kreditvolumens ausmachen, erhöhten sich im Juli um 4,6%. Der Anstieg setzte im November 2008 ein, als die Nationalbank das Libor-Zielband drastisch senkte; zuvor war die Entwicklung rückläufig. Den Hauptanteil der Hypothekarkredite machen Baukredite aus. Die übrigen, nicht hypothekarischen Kredite nahmen im Juli um 1,6% ab. Die Entwicklung dieser Kreditkategorie verläuft gleich wie in früheren Rezessionsphasen. Diese statistischen Informationen werden durch die Ergebnisse der Quartalsumfrage zu den Kreditvergabebedingungen gestützt, welche die Nationalbank seit Anfang 2008 bei den zwanzig wichtigsten Banken der Schweiz durchführt. Aus der Umfrage geht hervor, dass 40% der befragten Banken ihre Kreditbedingungen leicht verschärft haben.
Die einschlägigen Statistiken deuten in keiner Weise auf eine eigentliche Kreditverknappung (Credit Crunch) hin, weder bei den Krediten an private Haushalte noch bei jenen an kleine und grosse Unternehmen. Da sich die Qualität mancher Schuldner in einer Rezession verschlechtert und sich die wirtschaftliche Aktivität zurückbildet, ist eine zyklische Verschärfung der Kreditbedingungen oder gar ein Rückgang des Kreditvolumens unvermeidbar. Eine solche Entwicklung darf aber nicht mit einer eigentlichen Kreditverknappung gleichgesetzt werden, da sie nicht auf eine einseitige Reduktion des Angebots durch die Banken zurückzuführen ist. Aus heutiger Sicht ist die Nationalbank der Auffassung, dass zusätzliche Stützungsmassnahmen der öffentlichen Hand auf dem Kreditmarkt nicht angebracht sind.
Die Notenbankgeldmenge hat sich seit Ausbruch der Finanzkrise mehr als verdoppelt, ist aber in den letzten Monaten bereits wieder deutlich gesunken. Diese Entwicklung widerspiegelt die Bemühungen der Nationalbank, den Interbankenmarkt mit genügend Liquidität zu versorgen. Die Nationalbank berücksichtigt damit die erhöhte Nachfrage, die ihrerseits auf den Vertrauensverlust zwischen den Akteuren im Finanzsektor zurückzuführen ist.
Die Liquidität ist hoch, nicht nur im Banken- und Finanzsektor, sondern auch bei den privaten Haushalten und den Unternehmen. Dies spiegelt sich im seit Jahresbeginn zunehmend rascheren Wachstum der Geldaggregate. Die Geldmenge M3, die bis zum Zeitpunkt der Lagebeurteilung vom vergangenen Juni noch moderat anstieg, weitet sich nun schneller aus. Die Geldmengenentwicklung wird von der Nationalbank aufmerksam beobachtet.

Inflation und Inflationsrisiken
Die Inflation ist seit sechs Monaten negativ, und die Kerninflation nimmt weiterhin ab. Im März und im Juni wurde aufgrund der Konjunkturaussichten für die Jahre 2010 und 2011 mit einer nahe bei null liegenden Inflation gerechnet, welche die Gefahr einer Deflation in sich barg. Nun ist die Inflationsprognose leicht nach oben angepasst worden. Somit hat sich das Deflationsrisiko verringert. Es könnte sich jedoch wieder erhöhen, sollte eines der beiden folgenden Szenarios eintreten:
Einerseits müssen sich die jüngsten Anzeichen einer weltweiten konjunkturellen Erholung noch bestätigen. In der Tat wird die Konjunktur derzeit durch Faktoren gestützt, die eine zeitlich begrenzte Wirkung haben, wie die staatlichen Ankurbelungsmassnahmen oder der Abbau der Lagervorräte. Dazu kommt, dass die USA dank einer starken Nachfrage nach Importgütern die Lokomotivfunktion für die Weltkonjunktur übernommen haben. Ein verstärkter Schuldenabbau der Konsumenten könnte jedoch verhindern, dass die USA weiterhin diese Rolle spielen können. Eine andere Quelle der inländischen Nachfrage ist in den USA aber nicht in Sicht.
Andererseits befindet sich der Finanzsektor in der Erholungsphase. Die Zentralbanken versorgen die Finanzmärkte immer noch grosszügig mit Liquidität. Es ist schwer einzuschätzen, inwieweit der Bankensektor von der zu erwartenden Verschlechterung der finanziellen Situation bei den privaten Haushalten und Unternehmen betroffen sein wird.

Der geldpolitische Entscheid
Die langfristigen Inflationsaussichten haben sich gegenüber der Lagebeurteilung vom Juni geändert. Sie deuten darauf hin, dass die expansive Geldpolitik nicht während der drei nächsten Jahre weitergeführt werden kann, da die längerfristige Preisstabilität gefährdet wäre.
Eine sofortige Korrektur der Geldpolitik wäre allerdings verfrüht, denn die Inflationsaussichten sind mit grossen Abwärtsrisiken behaftet. Sollten sich diese Risiken bestätigen, könnte die Deflationsgefahr wieder aufflammen. Die Unsicherheiten bestehen sowohl bezüglich der Weltkonjunktur als auch hinsichtlich der Erholung des Finanzsektors. Unter diesen Umständen nimmt die Nationalbank eine vorsichtige Haltung ein und behält ihren geldpolitischen Kurs bis auf weiteres unverändert bei.

Grafik der Inflationsprognose
Die neue Inflationsprognose (rot-gestrichelte Linie) deckt den Zeitraum vom dritten Quartal 2009 bis zum zweiten Quartal 2012 ab. Sie beruht, wie die Prognose vom Juni (strichpunktierte grüne Linie), auf der Annahme eines konstanten Dreimonats-Libors von 0,25%.
Für die Jahre 2009 und 2010 ist der Verlauf der neuen Inflationsprognose praktisch unverändert. Die negative Inflation im Jahr 2009 wie auch der Teuerungsschub Anfang 2010 sind auf einen Basiseffekt als Folge der Energiekostenentwicklung zurückzuführen. So dürfte der Ölpreis bis Ende 2009 unter dem vor Jahresfrist verzeichneten Stand verbleiben. Anfang nächsten Jahres dürfte sich die Situation wieder umkehren. Die Inflation wird 2010 angesichts der Unterauslastung der Wirtschaft auf einem tiefen Niveau verharren. Die neue Prognose geht davon aus, dass sich die Lücke zwischen tatsächlicher und potenzieller Produktion rascher schliessen wird, als es die Nationalbank im Juni vorhersagte. Dies würde für 2011 und inbesondere für 2012 zu einer höheren Inflation führen, falls die expansive Geldpolitik auf unbestimmte Zeit beibehalten würde. Die Teuerung würde dann ab Ende des Prognosehorizonts die 2%-Marke überschreiten.

Quelle: Schweizerische Nationalbank

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