Zum Jahresbeginn hatten wir an dieser Stelle das Jahr 2010 als «Übergangsjahr» bezeichnet. Gemeint war damit, dass die Wirtschaft dank tiefer Zinsen und staatlicher Stimulierung für das Gesamtjahr erfreulich verlaufen würde, die Aktienmärkte sich zunächst positiv entwickeln, in der zweiten Jahreshälfte jedoch ein Übergang zu zunehmend volatileren Märkten erfolgen und ein Trend in Richtung hochqualitative Aktien beginnen würde. Die Nervosität an den Finanzmärkten begann allerdings bereits schon Ende April und setzte sich im Mai fort, als die Griechenlandkrise plötzlich eskalierte, da die Politik unnötigerweise die notwendigen Schritte unterlassen hatte und daraufhin die Kosten für den Rettungsschirm für Griechenland auf sagenhafte 110 Milliarden Euro schnellten. Für Argentinien, welches in jeder Hinsicht um ein Mehrfaches grösser ist, wurden 2004 nur rund 30 Milliarden Dollar aufgewendet.
Es war allerdings nicht nur die Zuspitzung der Griechenlandkrise, welche die Aktienmärkte im Mai auf Talfahrt schickte. Die Aktienmärkte nehmen bekanntlich die wirtschaftliche Entwicklung der kommenden 6 bis 9 Monate vorweg. Wir erwarten für 2011 einen schwächeren globalen Wirtschaftsverlauf als in diesem Jahr. Dies bedeutet unterdurchschnittliche aber positive Wirtschaftswachstumszahlen. Warum eine Abkühlung im kommenden Jahr? Die meisten europäischen Staaten haben beschlossen, ihre Staatshaushalte möglichst rasch zu konsolidieren und keinen weiteren Staatsausgaben zur Ankurbelung der Konjunktur mehr zuzusprechen. Obwohl Sparen angesichts der Schuldenproblematik langfristig sicher eine richtige Massnahme ist, dürfte das Wirtschaftswachstum dadurch in der Zwischenzeit belastet werden, vor allem, weil die Konjunktur noch nicht robust genug ist. Denn typischerweise dauern Wirtschaftskrisen, die durch eine überbordende Verschuldung des privaten Sektors verursacht wurden, mehrere Jahre, und sie sind in ihrem «genetischen Code» deflationärer Natur. Studien haben zudem gezeigt, dass das Wirtschaftswachstum geringer ausfällt, wenn die Schulden der Staaten auf über 90% des Bruttoinlandsprodukts steigen – wovon in den kommenden Jahren für die meisten Staaten auszugehen ist.
In diesem Umfeld erscheinen die aktuellen Gewinnerwartungen für die globalen Aktienmärkte mit einem Gewinnwachstum von rund 20% für 2011 als zu hoch; ein Wachstum von rund 10% erscheint realistischer. Dies führt zu einer fairen Bewertung der Aktienmärkte und lässt für die kommenden Monate keine allzu hohen Erträge erwarten, weshalb wir die Aktienquote in unseren Portefeuilles neutral gewichten. Dabei wird die Volatilität hoch bleiben. Der Aktienauswahl kommt eine entscheidende Rolle zu. Während in der Rally 2009 praktisch alle Aktien völlig unabhängig von ihrer Qualität profitierten, werden die Investoren nun vermehrt selektiv hochqualitative, wertorientierte Titel auswählen, die über ein robustes, nachhaltiges Geschäftsmodell verfügen und im Falle Europas exportorientiert sind.
Quelle: Vontobel