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Mit «White Risk» sicher durch den Tiefschnee

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Die gelben Warnlichter bei der Bergstation Gurschenalp oberhalb von Andermatt blinken nervös und ununterbrochen. Stufe drei: Die Lawinengefahr ist «erheblich». Hinzu kommt starker Wind. Mit 100 Stundenkilometern fegt der Föhn über unsere Köpfe hinweg. Die Bergbahn ganz nach oben auf den Gemsstock fährt nicht einmal. Auch die Sicht ist schlecht. Es schneit und die Wolken hängen tief. Eigentlich kein guter Tag um sich in den Tiefschnee abseits der Piste zu stürzen.

Bergführer Stephan Harvey lässt sich davon nicht verunsichern. «Wir schauen, was geht», sagt der Experte des WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung SLF den acht Teilnehmern des «White Risk»-Camps. Der zweitägige Kurs in Andermatt ist einer von vier, den die Schweizerische Unfallversicherung Suva zusammen mit dem WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF organisiert. Die Camps sollen den Nutzen der neuen Website www.whiterisk.ch(Link wird in einem neuen Fenster geöffnet) in der Praxis aufzeigen. «Wir möchten den Teilnehmenden den Umgang mit Gefahren beim Freeriden, Tourengehen und Schneeschuhlaufen unter professioneller Anleitung näher bringen», sagt Samuli Aegerter, Kampagnenleiter Schneesport bei der Suva.

Nicht in falscher Sicherheit wiegen
Und das könne man auch bei schlechten Bedingungen, erklärt Bergführer Harvey. Eine Frau und sieben Männer haben bei einem Wettbewerb die zwei Tage im Schnee gewonnen. Sie alle sind mit Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS), Lawinensonde und Schaufel ausgerüstet. Am Morgen früh haben die Teilnehmer des Camps zudem im Hotel verschiedene Freeride-Abfahrten mit der Website www.whiterisk.ch(Link wird in einem neuen Fenster geöffnet) geplant und anhand der Karten allfällige Gefahrenstellen ausfindig gemacht. «Eine gute Ausrüstung ist zentral», sagt Aegerter. Sie dürfe aber keinesfalls eine falsche Sicherheit vorgaukeln. «Die Ausrüstung ist ein Backup für den Notfall, mehr nicht», betont er. Letztlich müsse jeder Mensch die Eigenverantwortung wahrnehmen und sich genau überlegen, was er sich zutraut und welche Tour oder Abfahrt den aktuellen Verhältnissen angemessen ist.

Dann klicken die Bindungen. Los geht’s! Zuerst der Piste entlang. «Bei Pulverschnee und sonnigem Wetter stürzen sich viele Freerider vom Sessellift gleich in den Tiefschnee», sagt Harvey. Das sei ein grosser Fehler. «Auch in Pistennähe muss man sich Zeit nehmen, um die Bedingungen genau zu analysieren», sagt er.

Die zwei SLF-Bergführer Stephan Harvey und Benjamin Reuter führen je eine Gruppe von vier Teilnehmenden durchs Schneegestöber. Sie halten Ausschau nach Stellen abseits der Piste, die befahren werden können. «Die Gefahr Nummer eins ist heute ganz klar der Triebschnee», sagt Reuter. Schnee, der vom Wind an eine andere Stelle verfrachtet wurde. Dort lassen sich Schneebrettlawinen leicht auslösen, sagt Reuter. «Stosse ich heute auf Triebschnee, der mir bis zu den Knien reicht, dann gehe ich wieder zurück», sagt er. Abseits der Piste fährt der Bergführer jeweils voraus, schätzt die Situation ein und winkt dann die Teilnehmenden einzeln zu sich. Das Gelände ist holprig, die Bodenwellen sind kaum zu erkennen. Immerhin: Ab und zu gibt’s einen schönen Schwung im Tiefschnee.

Lawinenkunde statt Tiefschneeabfahrten
«Los jetzt, schneller!» Stephan Harvey schreit gegen den Wind. Der Bergführer treibt die Teilnehmenden an, die im Tiefschnee mit LVS, Lawinensonden und Schaufeln hantieren. Statt schöner Tiefschneeabfahrten gibt es nach dem Mittagessen praktische Lawinenkunde. Der Umgang mit dem LVS und den Sonden will gelernt sein. Systematisch sucht die Gruppe ein Schneefeld ab. Immer wieder stossen sie die 2,5 Meter langen Aluminiumstangen in den Tiefschnee. Dann endlich, statt auf den gefrorenen Boden stösst eine Lawinensonde auf etwas Weiches. Sofort wird geschaufelt und nach kurzer Zeit kommt ein schwarzer Rucksack zum Vorschein. «1 Minute 47 Sekunden – gute Arbeit», gratuliert Harvey.

25 Lawinentote pro Saison
Nicht immer werden Lawinenopfer so schnell gefunden, wie bei dieser Übung. In der laufenden Skisaison gab es bereits 14 Lawinentote. «Pro Saison sterben in der Schweiz durchschnittlich 25 Menschen in Lawinen», sagt Samuli Aegerter. Insgesamt sind den letzten 10 Jahren in der Schweiz über 2.000 Leute von Lawinen erfasst worden, in der Regel Schneesportler, die abseits gesicherter Pisten unterwegs sind. Dass Aufklärung und Prävention nicht intensiv genug betrieben werden können, zeigt ein weiterer Blick auf die Statistik. Wer in eine Lawine gerät, hat sie in über 90 Prozent der Fälle selbst ausgelöst.

Diese Zahlen haben die Suva bewogen zusammen mit ihrem Partner, dem WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF das Online-Tool «White Risk» zu entwickeln. «Schneesportler bewegen sich zunehmend neben der Piste – Freeriden und Tourengehen ist ein Trend», sagt Aegerter. Dass die Leute neben der Piste ihren Spass haben, das könne und wolle die Suva nicht verhindern. «Wir fordern aber, dass die Schneesportler das Risiko abseits der Skipiste auf ein akzeptables Risiko minimeren», sagt Aegerter. Dabei helfe die Website www.whiterisk.ch. «White Risk vermittelt umfassendes Wissen über Lawinenprävention und enthält ein Tourenplanungs-Tool», sagt Aegerter.

Schon kleine Schneebretter sind gefährlich
Wissen, das neben der Piste zwingend notwendig sei, sagt SLF-Experte und «White Risk»-Initiator Stephan Harvey. «Wer einmal von einer Lawine erfasst wird, hat ungünstige Karten in der Hand», sagt er. Schneebrettlawinen werden von vielen Leuten nach wie vor unterschätzt. «Es braucht keine Riesenlawine für ein Unglück, schon ein kleines Schneebrett von 50 Metern Breite, und 50 m Länge und 50 cm Anrissmächtigkeit hat ein Schneevolumen, das rund 10 Eisenbahn-Güterwagen füllt und ein Gewicht von rund 200 Tonnen auf die Waage bringt», erklärt er.

Gemäss einer Studie des Bundesamtes für Sport sind in der Schweiz 150.000 Personen mehr oder weniger regelmässig abseits von gesicherten Pisten auf Tour oder beim Freeriden unterwegs. «Eine eher konservative Schätzung», meint Stephan Harvey. Diese Ansicht teilt auch Aegerter. «Neue Skis und Snowboards locken mehr Leute neben die Piste», sagt er. So sind bei den neuen Schneesportgeräten sowohl die Spitzen wie auch die Enden stärker nach oben gebogen. «Das erleichtert das Fahren im Tiefschnee», sagt Aegerter.

Dass die Zahl der Lawinenunfälle nicht nach oben schnelle, zeige die Wichtigkeit der Prävention, sagt Harvey. «Es gibt jedoch keine 100 prozentige Sicherheit, wir müssen lernen, mit dem Lawinenrisiko umzugehen», sagt er.

Den Tourenplan auf dem Smartphone
«White Risk» ist eine Website für alle, die sich im winterlichen Gebirge abseits gesicherter Pisten aufhalten. Die Plattform bietet in der kostenlosen Basisversion ein grafisch animiertes Nachschlagwerk zum richtigen Verhalten am Berg und zu Faktoren, welche die Lawinengefahr beeinflussen, wie Wind, Neuschneemenge, Temperatur, Hangneigung und Geländeform. Es gibt zudem detaillierte Informationen zu Gefahrenstufen, Lawinenbildenden Faktoren, zu Entscheidungsprozessen in der Gruppe und zur Vorbereitung einer Skitour. «Die Plattform ersetzt jedoch nicht den gesunden Menschenverstand», betont Samuli Aegerter von der Suva. Die kompletten Informationen inklusive dem Kartenmaterial von Swisstopo sind für einen Jahresbeitrag von 29 Franken abrufbar.

In der Vollversion liefern das SLF und die Suva zusätzlich ein Touren-Tool mit, womit sich Ski-, Snowboard- und Schneeschuhtouren unter sicherheitstechnischen Aspekten wie der Berücksichtigung der Hangneigung planen lassen. Die notwendigen Kartendaten dazu kommen von Swisstopo. Basis-Know-how über die weissen Gefahren sowie die neusten Lawinenbulletins und Neuschneemengen sind per Gratis-App fürs Smartphone auch am Berg abrufbar. Am Computer geplante Touren sollen in jedem Fall ausgedruckt und in Papierform ins Gelände mitgenommen werden.

Die seit 1918 tätige Suva beschäftigt am Hauptsitz in Luzern, in den schweizweit 18 Agenturen und in den zwei Rehabilitationskliniken Bellikon und Sion rund 3.200 Mitarbeitende. Als selbständiges Unternehmen des öffentlichen Rechts mit 4,2 Mrd. Franken Prämienvolumen versichert sie rund 120.000 Unternehmen bzw. 1,9 Mio. Berufstätige gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten. Arbeitslose sind automatisch bei der Suva versichert. Zudem führt sie im Auftrag des Bundes seit 2005 auch die Militärversicherung. Die Dienstleistungen der Suva umfassen Prävention, Versicherung und Rehabilitation. Sie arbeitet selbsttragend, ohne öffentliche Gelder und gibt Gewinne in Form von tieferen Prämien an die Versicherten zurück. Im Verwaltungsrat sind die Sozialpartner – Arbeitgeber und Arbeitnehmer – und der Bund vertreten.

Source: Suva

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